Quizzen an der Costa del Sol, oder: Die ??? und der Fall von Terrormolinos
Extract from SPANFAX, the Kwikhol Tours guide to Spain: Oh to be in Terrormolinos, With its overcrowded beaches, shark-infested waters and hotels modelled on our very own Ronan Point! Don’t you wish you were there? Well, DON’T YOU?
So beginnt das weltberühmte Textadventure-Computerspiel von 1985 namens „Terrormolinos“, bei dem man eine vierköpfige britische Familie durch den Sommerurlaub in einem fiktiven, aber dennoch sehr stark der Realität nachempfundenen Touristenort steuert, der an der Costa del Sol knapp zehn Kilometer südlich von Málaga liegt. Nun hat die IQA natürlich darauf geachtet, dass das Tagungshotel Meliá nicht etwa dem berüchtigten Ronan-Point-Hochhaus (vgl. Wikipedia) oder dem Grenfell Tower (die Älteren werden sich erinnern) ähnelt, und auch ein dem Overlook Hotel (vgl. Stephen Kings Reiseführer „Shining“) nachempfundenes Bauwerk befindet sich nur nebenan. Torremolinos, mit 68.819 Einwohnern ungefähr so groß wie Aalen oder Dinslaken, war der erste große Ort des Massentourismus an der Costa del Sol, und seit den 1950ern hat er sich zu einer Mischung aus Freiluftmuseum des Bettenburgenbaus, Paradies für graumelierte Ganzjahrestouristen und LQBTQ+-Hotspot entwickelt.
Damit seien schon einmal die Erwartungen abgesteckt – vierzehn deutsche Quizzerinnen und Quizzer haben sich nicht zum Spaß angemeldet, sondern sind bereit, allerhand unlösbaren Rätseln gegenüber zu treten, anstatt sich der Freuden Andalusiens hinzugeben. Und da Max’ Flug einem Sturm zum Opfer fiel, wurde dieses Kontingent auch noch auf die genretypische Zahl von 13 gestutzt – perfekte Voraussetzungen für den Horror, der die Fragen der IQA bei diesem Event klassischerweise sind. Beispiel gefällig?
Im TV-Spezialquiz wird eine portugiesischsprachige Thriller-Serie gesucht, die in einer dystopischen Zukunft spielt; man sollte an anderer Stelle auch wissen, welche japanische Band „Tsunami“ 2000 zur meistverkauften Single in Nippon machte, wie der längste Fluss Borneos heißt oder eine Bantu-Voodoo-Religion in Brasilien (Original-Tipp: man könnte sie mit Macumba oder Umbanda verwechseln!). Fragen, vor deren Hintergrund die derzeitigen Regionalmeisterschaften aussehen wie der Mundartkrimi im Dritten gegenüber Nosferatus Symphonie des Grauens – und die die besten DQV-Quizzerinnen und -Quizzer sich einmal ganz dumm fühlen lassen dürfen.
Die „International Quizzing Championships“ sind so etwas wie die zweite WM, die zentrale WM, die andere WM... Die WM im Quizsport, die ja nicht WM heißen kann, weil es ja schon die WQC im Sommer gibt, und das Powwow in den drei Jahren, in denen es keine Quizolympiade gibt, aber sich die weltverrücktesten Triviafans trotzdem treffen wollen. Ein Jahr nach dem Heim-Event in Berlin war jetzt also Spanien dran (obwohl es keinen einzigen Teilnehmer aus Spanien gab und gibt), und die Teilnahmegebühren sind mit schlappen 450 Euro wieder bei einem Vielfachen dessen angesiedelt, was wir von DQV-Veranstaltungen gewohnt sind – ohne Unterkunft oder Anreise. Damit Deutschland hier nicht (nur) von den Quizzerinnen oder Quizzern mit dem solventesten Geldbeutel vertreten wird, sondern ihren besten, übernimmt der DQV zumindest für seine Nationalspieler die Anmeldegebühr (bzw. die Hälfte für die B-Auswahl).
Als es dementsprechend am Freitagabend gleich mit dem Nationenpokal losgeht, ist trotzdem eine Menge Vorfreude da. Leider tritt Deutschland diesmal auch ohne das erfolgreichste Team von 2022 an, denn für eine U30-Mannschaft hat es nicht mehr gereicht. So heimst Belgien noch vor der ersten Frage die erste Goldmedaille ein, Silber und Bronze werden nicht vergeben, und die DQV-Getreuen klammern sich an die Hoffnung auf einen Top-10-Platz, in vielleicht irgendeinem der Wettbewerbe, mit viel Glück und Geschick. Immerhin fehlen dieses Jahr ja die Schweiz und Finnland im Nationalbewerb, da könnte ja vielleicht was gehen!
Leider zeichnet sich relativ schnell beim Nationalteam mit Sebastian Klussmann, Roland Knauff, Manuel Hobiger und mir ab, dass die Fragen doch nicht wundersamerweise alle genau das behandeln, was man sich vorher angeschaut hat – und dass es auch keine halben oder dreiviertel Punkte gibt, wenn man ganz knapp danebenliegt bei einer Antwort. Runde 5 endet mit zwei von zwölf möglichen Punkten, und der Erkenntnis, sogar noch einen Punkt hinter „Deutschland B“ zu liegen, in dem Tilman Thiry, Steffen Löwe und Sebastian Milpetz Pascal Bothe als Vertretung für Max Lüggert verpflichtet haben. Auch in den letzten zwei Runden gelingt dem „A-Team“ die Wende nicht mehr, und mit 43 von 100 Punkten steht Platz 12 zu Buche, einen Punkt hinter Frankreich, und 25 Punkte hinter den USA und Belgien, die sich später im Finale gegenüberstehen. Auch die „B-Mannschaft“ kommt am Ende auf 43 Punkte (aufgrund eines Übertragungsfehlers weist die offizielle Website 5 Punkte mehr aus, was kurioserweise nichts an der Platzierung ändert) und erreicht damit genau Platz 10 im „Aspirational Cup“. Hurra! Die weiteren Deutschen, organisiert in „Alemania 12 Puntos“ mit Dirk Vielhuber, Vroni Kiefer, Rudi Mewes und Andy Östreich, schlagen ihr im Namen gesetztes Ziel mit 32 Punkten souverän und erreicht einen beim ESC selten erreichten Top-Platz 19 in diesem Wettbewerb; Vanessa Engelhardt landet im Team mit einer Französin und zwei Franzosen auf Platz 16. „Terrormolinos“ hat also die Muskeln spielen lassen, aber ein Abendessen und ein Aspirational-Cup-Finalmatch (zwischen Engländern und belgisch-finnischen Anarchisten, die Gold davontragen) später ist beim Funquiz schon wieder alles Friede, Freude, Tortilla für alle.
Der Samstag beginnt mit den Spezialquizzes, die dem geneigten Allrounder aufzeigen, was er oder sie über Fernsehen, Popmusik, Geografie oder Literatur alles nicht weiß. Tilman ist mit 21 von 50 Punkten unser bester TV-Quizzer (geteilter 32. Platz); Sebastian Milpetz kommt mit 16 Punkten in Popmusik gerade so noch in die Top 50 von gut 100 Teilnehmenden; und Sebastian Klussmann hat mit 19 Zählern in Literatur und Platz 39 intern die Nase vorn. International Beachtung finden wir nur in Geographie, wo Manuel mit 30 Punkten die Top 10 nur um eine und die Medaillenränge nur um vier richtige Antworten verpasst! So nah und doch so fern, wie die Antworten nach dem westlichsten Punkt Afrikas, wo der kürzlich den Senegal bereisende Ehrenvorsitzende (wie der Autor dieser Zeilen auch) Saint-Louis mit Cap-Vert verwechselt.
All das ist aber nur Aufwärmprogramm für das Highlight des zweiten Tages, das Einzelquiz mit 100 Fragen. Ich sitze am Tisch mit Gerard aus England, Maj-Britt aus Dänemark und Krešimir aus Kroatien und bin mir nicht sicher, ob ich mich auf die Fragen freuen soll. Die erweisen sich als überraschend machbar, mitunter sogar zu überraschend (ich rechne nicht damit, dass die Frage nach dem schwedischen Premierminister wirklich Olof Palme sucht, oder dass Pentimento „Reue“ bedeutet), aber insgesamt merke ich, wie das Spaß macht und sogar meine Tischnachbarn nicht mehr wissen als ich – das kommt an diesem Wochenende irgendwie sehr selten vor. Klar, dass der Führende nach der vorletzten Runde schon 65 von 80 Punkten auf dem Konto hat, zeigt einem, dass man da vielleicht Glück mit der Vergleichsgruppe hat, aber allein das Gefühl, Punkte zu machen, wird hier schon zum Segen. In der letzten Runde gelingen mir dann sogar sieben richtige Antworten hintereinander und damit mit 51 insgesamt mehr als die Hälfte aller möglichen Punkte – ein vorher nie für möglich gehaltener Highscore. Klar, da gehört Glück dazu, wie die Frage nach einer griechischen Halbinsel, wo ich letztes Jahr noch im Urlaub war (Mani) oder einem deutschen Mineralwasser, das den Namen des Schutzheiligen des Weins trägt (Apollinaris). Am Ende lande ich auf Platz 50 von 148 Verrückten und suche vergeblich über mir in der Ergebnisliste die Nation „Germany“ – Sebastian Klussmann ist dank des Tiebreakers, der besten Einzelrunde, hauchdünn hinter mir auf Platz 52 gelandet. Wir sind aber alle eng beisammen – Pascal holt 49, Manuel und Roland 48 und Tilman 47 Punkte, dazu Andy 45, Sebastian Milpetz 44 und Steffen 41 Punkte, womit Deutschland neun Leute unter die besten 90 bringt.
So viel geistige Anstrengung, das heißt doch jetzt, Gehirn ausspannen und bei einem Drink an der Hotelbar im „Gold Room“ oder am Pool zurücklehnen? Niemals, denn erstmal wird der „International Quiz Champion“ gekürt, der Sieger des gesamten Dingens, der beste Quizzer wo gibt. Und für Freunde von „Gefragt – Gejagt“, der Mensch, der hier am Ende souverän gewinnt, sitzt da auch gerne oben und jagt; nur eben im kroatischen Fernsehen. Dean Kotiga hält in dem Finalformat, wo die Top 10 des Einzelquiz vor der Bühne viermal fünf Fragen gleichzeitig beantworten müssen, den U30-Champion Daoud Jackson aus England und die US-Amerikanerin Victoria Groce auf Distanz, und holt sich damit den Titel.
Das ist übrigens für uns schon der entspannte Teil des Abends gewesen, denn um 21:30 Uhr steht die „Club Team Championship“ an; als Fest der Völkerverständigung bzw. einfach als Vorwand, die absolut beknacktesten Fragen des Wochenendes an die Wand zu werfen. Schließlich können sich die Besten der Welt frei zu Mannschaften zusammenschließen, da muss für den Rest eben mal die Machbarkeit auf der Strecke bleiben. Wer singalesische Popstars oder sibirische Flussdeltas nicht kennt, für den bleibt immerhin die Frage, welches Kartenspiel seinen Namen als Kofferwort aus einer US-Western-Serie und dem deutschen Wort für ein Hülsengemüse hat – klar, dass wir alle Bohnanza kannten! Für Sebastian Klussmann und seine „Chasing Dentists“ (mit Brandon Blackwell, Mark Henry und Mark Ryder) war das übrigens genau das richtige – 61 Punkte holt das internationale Quartett, und Platz 5 ist die beste Platzierung des Wochenendes für irgendeinen deutschen Quizzer. Dass der Sieg an das Team „The Rolling Scones“ um Kotiga und Jackson mit gerade einmal acht Punkten mehr geht, ist da schon eingepreist. Der Rest von uns findet Mitstreiter aus der ganzen Welt – Quizzer aus Serbien, Frankreich, Australien, Kroatien, Wales oder sogar Österreich sind unsere Gesellschaft für den Abend. Da ist der Terror dann aber auch schon verflogen, denn eigentlich kann man beim Quizzen ja gar nicht verlieren – es gibt ja nur Pluspunkte zu gewinnen.
Die gibt es für uns alle am Sonntagvormittag ein letztes Mal beim Doppel, und auch hier gibt es die Möglichkeit, sich international zu formieren. Sebastian Klussmann holt mit Dave McBryan 60 Punkte, Roland Knauff mit Jeffrey Seguritan 56, was beiden erlaubt, auf der erlesenen ersten Ergebnisseite aufzutauchen. Dort steht am Ende ganz oben auch ein alter Bekannter des DQV– Thomas Kolåsæter aus Norwegen hat sich mit Victoria Groce zusammengetan und beide zusammen sind mit fantastischen 81 Punkten den Belgiern Trogh und Van der Heyden zwei, allen anderen Paaren mindestens sechs Punkte voraus. Gold – hjertelig til lykke, Thomas! Die rein deutschen bzw. deutsch-österreichischen Doppel landen mit Ausnahme von Tilman und Pierre (Platz 34 mit 51 Punkten) in der zweiten Hälfte des Felds von 73 Teilnehmern und sind wie alle dann erstmal recht geschafft von den Fragen. So kommt es, dass wir beim Schlussakkord, dem Finale des Nationenpokals, alle eher auf unsere Telefone starren, als zu versuchen, die an die Wand projizierten Fragen zu beantworten. Das übernimmt Team USA rund um Victoria Groce für uns, auch wenn wir das nur indirekt mitbekommen, denn irgendwie hat es nicht für ein Mikrofon für die Antworten gereicht. Belgien hat hier diesmal keine Chance; Bronze ging an England.
Und dann ist Terrormolinos auch schon Geschichte – wir habens alle überlebt. Schrecklich schön wars so in Retrospektive, auch wenn wir im Keller des Hotels Melia wenig von der Sol der Costa da draußen gesehen haben. Aber an den Strand sind wir trotzdem gekommen, haben sogar mal das kalte Meerwasser ausprobiert und am Sonntagabend das vollgepackte Quizwochenende bei Tapas und Sherry in einem gemütlichen kleinen Restaurant im Regenbogenviertel in Gesellschaft unserer Freunde aus Österreich ausklingen lassen. Bilder haben wir tatsächlich auch gemacht – und damit das Spielziel von „Terrormolinos“ erreicht: die Reise nicht nur überlebt, sondern auch noch dokumentiert für alle, die daheim geblieben sind.